Sprachlos angesichts des Krieges? Zu einer theologischen Kritik des Sprechens vom Krieg

Alois Halbmayr / Josef P. Mautner

In: Münsteraner Forum für Theologie und Kirche

Der Überfall der Armee der Russischen Föderation auf einen souveränen Staat, mit dem Ziel, diesen Staat von der Landkarte zu streichen oder in einen abhängigen Vasallenstaat zu verwandeln, hat habituierte Narrative und Wahrnehmungsmuster in den Reichtumsgesellschaften Westeuropas und des
westlichen Mitteleuropa scheinbar über Nacht fragwürdig werden lassen. Dass dieses Fragwürdigwerden so plötzlich geschah, hat mit der spezifischen Konstruktion des vorherrschenden eurozentrischen Politikverständnisses zu tun, in dem die Befreiungsbewegungen ehemaliger Länder der Sowjetunion
und von deren Satellitenstaaten vom Trauma stalinistischer und kommunistischer Unterdrückung sowie die Rückkehr der Russischen Föderation unter Wladimir Putin zu einem diktatorischen, neoimperialistisch orientierten Regime nur am Rande wahrgenommen wurden. Der neuerliche Verfall einer in Ansätzen rechtsstaatlichen wie demokratischen Ordnung in der Russischen Föderation, ebenso wie die Verwerfungen der marktwirtschaftlichen „Transformation“, die in den Ländern Ostmittel- und Osteuropas zum Motor für Nationalismen, Rechtspopulismen und sog. „illiberale“ Demokratien geworden sind, wurden in ihrer gesamteuropäischen Bedeutung kaum wahrgenommen. Dasselbe geschah auch weithin mit der Entwicklung der Religionsgemeinschaften und christlichen Kirchen in diesen Gesellschaften. Staatskirchliche Tendenzen in allen Denominationen wie auch eine Theologie, die westliche Lebensformen, Demokratie und Liberalismus als Symptome eines kulturellen Niedergangs und als Glaubensverfall brandmarken, wurden nicht selten als Phänomene einer verspäteten, im besten Fall nachholenden Entwicklungsstufe dieser Gesellschaften betrachtet. Wenn hier und heute Theolog*innen von diesem „europäischen“ Krieg sprechen wollen, werden sie gut daran tun, zunächst ihre Wahrnehmungsvoraussetzungen zu prüfen und gegebenenfalls zu revidieren, bevor sie zu Urteilen oder Antworten auf die Krise dieses erschreckend „nahen“ Krieges kommen.

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Die richtige Antwort auf religiös motivierten Terror: Säkularismus oder Zusammenarbeit der Religionen und Weltanschauungen

Wie sieht es angesichts von religiös motiviertem Terror mit dem Verhältnis von Religion und Staat bzw. Öffentlichkeit aus? Die beiden Theologen Alois Halbmayr und Josef Mautner plädieren für ein Kooperationsmodell. Es brauche die bunten und vielfältigen Räume gelebter Zusammenarbeit.

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Migration und Flucht

Trotz der schlechten Datenlage und des weitgehenden Fehlens von Längsschnittdaten, die längerfristige Trends messbar machen könnten1, lässt sich festhalten, dass seit dem Ende der Ost-West-Systempolarität einerseits der Umfang der weltweiten Migrationsbewegungen deutlich zugenommen hat, andererseits die unterschiedlichen Formen von Migration vielfältiger und differenzierter geworden sind. Ich werde auch – soweit dies möglich ist – auf die spezifischen, durch die Covid-19-Pandemie und die mit ihr einhergehenden, weltweit stattfindenden Beschränkungen verursachten Veränderungen der Migrationsbewegungen eingehen.2 Diese lückenhafte und wenig präzise Informationslage spiegelt sich auch in der Unschärfe der Begrifflichkeiten wider: Die für Betroffene oft lebenswichtige Unterscheidung zwischen „freiwilliger“ und „erzwungener“ Migration bzw. zwischen Migration und Flucht verschwimmt, und die begriffliche Unschärfe wird auch für deren populistische Verzerrung in politischen Diskursen instrumentalisiert. Migration ist kein Phänomen, das erst im Gefolge des Zweiten Weltkrieges entstanden wäre; im Gegenteil: es ist ein Phänomen von außerordentlicher historischer Reichweite. Die Behandlung ihrer diachronen Tiefenstruktur muss hier hintangestellt werden, es soll jedoch zumindest angemerkt sein, dass sie für deren Verständnis von wesentlicher Bedeutung ist.3 Migrationsdiskurse und Migrationspolitik waren und sind nicht zuletzt ein Instrument der räumlichen und sozialen Macht zu definieren: d.h. Grenzen zu setzen und Grenzen zu öffnen. So viel lässt sich zusammenfassend sagen: Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie haben – wie in einem Brennglas – die bereits vorhandenen Ungleichheiten sozialräumlicher Definitionsmacht sichtbar gemacht und gleichzeitig verschärft.4

Deshalb möchte ich zunächst einige Anmerkungen zur Begriffsklärung voranstellen, bevor ich einige verfügbare aktuelle Zahlen zu Migrations- und Fluchtbewegungen auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene präsentiere. Im dritten Schritt sollen aktuelle Problemlagen und Chancen jener umfassenden Entwicklungen aufgezeigt werden, die durch Migrations- und Fluchtbewegungen in Gang gesetzt wurden bzw. werden. Die Covid-19-Pandemie hat kurzfristig massive Auswirkungen auf Migrations- und Fluchtbewegungen, die ich im vierten Abschnitt in einigen ausgewählten Punkten beleuchten möchte. Der abschließende fünfte Teil befasst sich mit religionsspezifischen Problemlagen und einer spezifisch christlichen Perspektive auf die Themen- und Handlungsfelder Migration und Flucht.  Weiterlesen „Migration und Flucht“

Fluchtbewegungen Salzburg 2015

Ursula Liebing – Josef P. Mautner

„… es war für uns alle eine Selbstverständlichkeit zu helfen.“

Fluchtbewegungen 2015 in Salzburg – menschenrechtliche und zivilgesellschaftliche Perspektiven

„Mit uns Flüchtlingen hat sich die Bedeutung des Begriffs ,Flüchtling‘ gewandelt, … so dass das Wort Flüchtling, das einst einen fast Ehrfurcht gebietenden Klang hatte, die Vorstellung von etwas zugleich Verdächtigem und Unglückseligem … erregt.“

Hannah Arendt in „We Refugees“ (1943)

Dieser Artikel bietet eine Darstellung und Reflexion jener Fluchtbewegungen, die im Jahre 2015 in Salzburg stattfanden. Die Darstellung erfolgt aus einer zivilgesellschaftlichen Perspektive. Sie geht von den Wahrnehmungen und Erfahrungen der MitarbeiterInnen von Nichtregierungsorganisationen und von Engagierten in Netzwerken aus. Diese Menschen sind z.T. bereits seit vielen Jahren in der kommunalen und regionalen Menschenrechtsarbeit in Salzburg und in diesem Kontext eben auch in der „Flüchtlingsarbeit“ aktiv. Die Reflexion der Fluchtbewegungen erfolgt vor dem normativen Hintergrund der in der „Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“, in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ und der „EU-Grundrechtecharta“ festgelegten Grund- und Menschenrechte. Weiterlesen „Fluchtbewegungen Salzburg 2015“

Fremde Heimat Salzburg?

Identitätsbildungen von Migrant*inn*en in den neunziger Jahren.

Josef P. Mautner

MigrationsstadtIch werde in diesem Text die Ausgangsbedingungen, den Prozess und die Resultate unterschiedlicher Identitätsbildungen von Migrant*inn*en im Kontext der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts reflektieren. Sein Fokus liegt auf der Relektüre einer Publikation zum Thema Migration aus den neunziger Jahren mit dem Titel „fremde heimat salzburg“.
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„ZIGEUNER ZU SEIFE!“

mautner_zwischenweltSTOLIPINOVO – TAGEBUCH EINER REISE

Stolipinovo ist ein realer und ein symbolischer Ort zugleich. Als eines der größten Stadtviertel in Südosteuropa, das ausschließlich von Roma bewohnt ist, steht sein Name für die Situation einer großen ethnischen Minderheit Europas: betroffen von Armut, Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, von Diskriminierung und Rassismus. Stolipinovo: Slum und Ghetto zugleich. Die Armut seiner BewohnerInnen scheint absolut, ihre Ausgrenzung vollständig. Gleichzeitig ist Stolipinovo jedoch ein realer Ort, ein Wohnviertel der Stadt Plovdiv im Süden Bulgariens. Plovdiv ist mit knapp 377.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt nach Sofia. Sie ist das Verwaltungszentrum der Gemeinde sowie der gleichnamigen Provinz. Weiterlesen „„ZIGEUNER ZU SEIFE!““

„Es gäbe viele unter uns, die großes Potential haben. Aber die Mehrheit sagt: Ihr seid Zigeuner!“

Stolipinovo_PartnerDie Plattform für Menschenrechte Salzburg (www.menschenrechte-salzburg.at) arbeitet seit September 2014 in einer Partnerschaft mit der ROMA-Foundation (Foundation for Regional Development ROMA Stolipinovo) in Plovdiv/Bulgarien zusammen. Die ROMA-Foundation ist eine Selbstorganisation von Roma, die in Stolipinovo sowie in den Vierteln und Dörfern im Bezirk Plovdiv leben. Die Foundation entwickelt Projekte, die die Lebensbedingungen der Roma sowie ihre soziale und gesellschaftliche Situation verbessern, und führt sie durch. Die Partnerschaft zwischen Plattform für Menschenrechte und ROMA-Foundation hat Austausch und gegenseitige Unterstützung in der regionalen Menschenrechtsarbeit zum Ziel. Weiterlesen „„Es gäbe viele unter uns, die großes Potential haben. Aber die Mehrheit sagt: Ihr seid Zigeuner!““

Begegnungen auf Augenhöhe. Das Projekt Salzburger Städtepartnerschaften mit Kommunen in Süd Ost Europa.

In der Plattform für Menschenrechte 1 wird seit einiger Zeit ein Projekt diskutiert, das von großem Wert für Politik und Zivilgesellschaft in Salzburg sein könnte: eine Kommunal- bzw. Städtepartnerschaft zwischen einer oder mehreren Salzburger Kommunen und einer oder mehreren Kommunen aus dem südosteuropäischen Raum. Ausgangspunkt der Idee einer solchen Städtepartnerschaft ist das Faktum der Notreisen und Pendelmigrationen von Menschen aus dem südosteuropäischen Raum. Die Erhebung, die im Auftrag des „Runden Tisches Menschenrechte“ im Zeitraum von Februar bis Mai 2013 in der Stadt Salzburg durchgeführt wurde 2, ergab, dass sich im Zeitraum der (annähernden) Vollerhebung Ende Februar mehr als 120 Menschen aus südöstlichen Mitgliedsstaaten der EU aufgehalten haben. Mit ihnen sind insgesamt 39 minderjährige Kinder gereist. Diese Notreisenden haben in ihren Herkunftsländern kein die Existenz ermöglichendes Einkommen aus Erwerbsarbeit oder Transferleistungen. Sie sind überwiegend langzeitarbeitslos oder nie im Erwerbsprozess gestanden. Der überwiegende Anteil der Notreisenden, die Ende Februar befragt wurden (80 %), kam aus Rumänien (u.a. aus der Kleinstadt Crizbav im Bezirk Brasov oder aus der Region Arges). Die Herkunftsländer Polen und Slowakei erreichten einen deutlich geringeren Anteil (je10 %). Weitere, vereinzelte Notreisende kamen aus Tschechien, Ungarn und Bulgarien. 41% der Notreisenden insgesamt gaben an, dass sie der Volksgruppe der Roma angehören. 14 RespondentInnen aus der Kleinstadt Crizbav gehörten zur ungarisch sprechenden Minderheit Rumäniens. Weiterlesen „Begegnungen auf Augenhöhe. Das Projekt Salzburger Städtepartnerschaften mit Kommunen in Süd Ost Europa.“

„Fight Poverty not the Poor!“

Bettelverbote gefährden die Grundrechte.

Kranich 3-06_14Das Salzburger Landessicherheitsgesetz1 spricht im § 29 ein absolutes Bettelverbot aus: „(1) Wer an einem öffentlichen Ort oder von Haus zu Haus von fremden Personen unter Berufung auf wirkliche oder angebliche Bedürftigkeit zu eigennützigen Zwecken Geld oder geldwerte Sachen für sich oder andere erbittet, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 500 € und für den Fall der Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu einer Woche zu bestrafen. (2) Bei Vorliegen von Erschwerungsgründen kann auch der Verfall des Erbettelten oder daraus Erlösten ausgesprochen werden.“

Das Salzburger Bettelverbot ist – wie die bestehenden Bettelverbote in anderen Bundesländern2 – beim Verfassungsgerichtshof (Vfgh.) beeinsprucht worden, und der Vfgh. befasst sich in dieser Frühjahrssession mit den grundrechtlichen Fragen und Problemstellungen, die diese unterschiedlich formulierten Verbote aufwerfen. Weiterlesen „„Fight Poverty not the Poor!““

Was heißt hier Integration?

Zum Spannungsfeld zwischen Begriff und Wirklichkeit

Der Begriff

„Integration“ ist ein Querschnittsbegriff, der von vielen Wissenschaftsbereichen (z.B. Sozial- und Sprachwissenschaften, Betriebswirtschaft, Mathematik und Informatik) in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet wird. In seiner allgemeinen Bedeutung bezeichnet das lateinische Wort die (Wieder-)Herstellung eines Ganzen, einer Einheit durch Einbeziehung außen stehender Elemente. Auf soziologischer Ebene versteht man unter Integration die Verbindung einer unterschiedlichen Vielzahl von Menschen(-gruppen) zu einer gesellschaftlichen Einheit. 1 Der Begriff ist zu einem Wort der Alltagssprache geworden, das in den verschiedensten Kontexten verwendet, vielfältig verstanden und unterschiedlichen, ja widersprüchlichen politisch-ideologischen Zielsetzungen untergeordnet wird. Weiterlesen „Was heißt hier Integration?“