Begegnungen auf Augenhöhe. Das Projekt Salzburger Städtepartnerschaften mit Kommunen in Süd Ost Europa.

In der Plattform für Menschenrechte 1 wird seit einiger Zeit ein Projekt diskutiert, das von großem Wert für Politik und Zivilgesellschaft in Salzburg sein könnte: eine Kommunal- bzw. Städtepartnerschaft zwischen einer oder mehreren Salzburger Kommunen und einer oder mehreren Kommunen aus dem südosteuropäischen Raum. Ausgangspunkt der Idee einer solchen Städtepartnerschaft ist das Faktum der Notreisen und Pendelmigrationen von Menschen aus dem südosteuropäischen Raum. Die Erhebung, die im Auftrag des „Runden Tisches Menschenrechte“ im Zeitraum von Februar bis Mai 2013 in der Stadt Salzburg durchgeführt wurde 2, ergab, dass sich im Zeitraum der (annähernden) Vollerhebung Ende Februar mehr als 120 Menschen aus südöstlichen Mitgliedsstaaten der EU aufgehalten haben. Mit ihnen sind insgesamt 39 minderjährige Kinder gereist. Diese Notreisenden haben in ihren Herkunftsländern kein die Existenz ermöglichendes Einkommen aus Erwerbsarbeit oder Transferleistungen. Sie sind überwiegend langzeitarbeitslos oder nie im Erwerbsprozess gestanden. Der überwiegende Anteil der Notreisenden, die Ende Februar befragt wurden (80 %), kam aus Rumänien (u.a. aus der Kleinstadt Crizbav im Bezirk Brasov oder aus der Region Arges). Die Herkunftsländer Polen und Slowakei erreichten einen deutlich geringeren Anteil (je10 %). Weitere, vereinzelte Notreisende kamen aus Tschechien, Ungarn und Bulgarien. 41% der Notreisenden insgesamt gaben an, dass sie der Volksgruppe der Roma angehören. 14 RespondentInnen aus der Kleinstadt Crizbav gehörten zur ungarisch sprechenden Minderheit Rumäniens.

Soziale und wirtschaftliche Situation der Herkunftsregionen:

Wenn man sich die soziale und wirtschaftliche Situation der Herkunftsregionen vor Augen führt, werden die Motive für Armutsmigration nachvollziehbar. In den Interviews schildern die Betroffenen ihre Situation mit großer Klarheit:

„In der Slowakei verdiene ich 500-600 € im Monat, aber es reicht nicht.“

„Es geht uns in Brasov sehr schlecht.Es gibt keine Arbeit, die genug einbringt, um davon leben zu können und nicht zu verhungern.“

„Es gibt kein Einkommen daheim, es gibt gar nichts, keine Arbeit, und man kann nur sehr schwach überleben.“ 3

Zum Beispiel: Die Zahl der aktiven Bevölkerung des Kreises Brasov/Kronstadt sank von 295.400 Personen 1995 auf 245.800 Personen im Jahr 2010. In ähnlicher Weise verringerte sich die Zahl der Beschäftigten von 275.600 Personen auf 229.500 Personen und die der angestellten Arbeitskräfte von 228.800 Personen auf 145.500 Personen. Diese Entwicklungen haben zu signifikanten Abnahmen der Erwerbs- und der Beschäftigungsquote der erwerbsfähigen Bevölkerung geführt (von 275.600 im Jahr 1995 auf 229.500 im Jahr 2009). Die Arbeitslosigkeit im Bezirk stieg zwischen 1995 und 2009 (mit Schwankungen aufgrund wirtschaftlicher Zyklen) von 6,7 auf 8,7 %. 4 Überproportional betroffen von der geringen Beschäftigungsquote ist die jeweilige Minderheitenbevölkerung: Ungarischsprechende und – in noch größerem Maße – Roma und Sinti.

Grundlage des Projektes, das die Einrichtung von kommunalen Partnerschaften zwischen Salzburger Gemeinden und Kommunen in Südosteuropa fördert, ist die Erkenntnis, dass eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen dieser Menschen in ihrem primären Lebensumfeld nur durch professionelle, gezielte Projektzusammenarbeit erreicht werden kann, die auf eine Verbesserung der strukturellen Rahmenbedingungen in den Regionen vor Ort abzielt. Die Plattform für Menschenrechte hat zur Vorbereitung dieses Projektes Gespräche mit dem Land Salzburg geführt und Sozialeinrichtungen wie NGOs zu einem Vernetzungstreffen eingeladen, um das Projekt auf eine möglichst breite Basis zu stellen. Aus dem Treffen ist eine informell vernetzte Arbeitsgruppe mit vielen Organisationen hervorgegangen, die sich derzeit in Salzburg für die soziale Versorgung und die Grundrechte von Notreisenden und ArmutsmigrantInnen engagieren. Dieses Netzwerk hat beschlossen, zunächst alle uns zugänglichen Informationen über bereits in Salzburg bestehende Partnerschaften auf allen Ebenen zusammenzutragen. Auf der Grundlage des bisherigen Informationsstandes möchte ich drei Beispiele herausgreifen.

Bereits bestehende Partnerschaften und Projekte in Salzburg:

Melitopol, Ukraine:

Hierbei handelt es sich um eine bereits bestehende Zusammenarbeit zwischen Nadja Lobner (Verein Phurdo) mit einer Professorin von der MGPU in der Ukraine seit 2008. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit gab es gemeinsame Konferenzen, gegenseitige Einladungen zu Konferenzen, Veröffentlichung von Texten über Jugendarmut in der Ukraine in russischer Sprache in ukrainischen und russischen Tagungsbänden, Ideenaustausch sowie Vernetzung mit russischen WissenschaftlerInnen. TrägerIn dieser Partnerschaft ist die Staatliche Pädagogische Universität Melitopol, Ukraine, im besonderen Frau Professor Lyudmila Afanasyeva, die Leiterin des soziologischen Forschungslaboratoriums (http://www.mdpu.org.ua/). Melitopol wurde aufgrund der Bemühungen von Frau Afanasyeva Modellstadt im Programm „Intercultural Cities“ des Europarates. Sie bemühte sich um viele kleinere, öffentlichkeitswirksame Projekte in der Stadt. Sie verfügt über viel Erfahrung in der interkulturellen Kommunikation zwischen den einzelnen Volksgruppen und religiösen Gemeinschaften in der Stadt Melitopol.

Deutsches Theater in Sibiu, Rumänien:

Im Zusammenhang mit dem Projekt „Kultur und Armutsbekämpfung. Von der sozialen Ausgrenzung zum interkulturellen Dritten Raum“ (2011-2012) fand ein reger Ideenaustausch zwischen dem Salzburger Theater „ecce“ 5 und Wolfgang Kandler statt, der als Schauspieler und Regisseur am deutschen Theater in Sibiu, Rumänien arbeitet. Ein kommunaler Bezug ist durch den Sitz von Ecce und Odeion Kulturforum in der Stadt Salzburg gegeben.

Partnerschaft zwischen den Pfarren Salzburg-Nonntal und Orsova:

Nach der Revolution in Rumänien im Dezember 1989 begannen viele Pfarren mit Hilfsprojekten, welche die dortige Not lindern sollten. Auch der Nonntaler Pfarrgemeinderat stellte solche Überlegungen an und beschloss, ebenfalls durch ein Projekt zu helfen. Der Adneter Pfarrer Babeu, der aus dem rumänischen Banat stammt, war bereits im Dezember 1989 in seine Heimat gereist, um zu sehen, wo Hilfe nötig ist. Pfarrer Babeu nannte dem Pfarrgemeinderat von Nonntal unter anderem die katholische Pfarrgemeinde in Orşova im rumänischen Banat. Daraus entwickelte sich der Kontakt mit Pfarrer Mihai Sima von Orşova.

Grundlinien des Projektes „Kommunale Partnerschaften“:

In den zahlreichen Gesprächen und Diskussionen, die in und mit der Plattform für Menschenrechte zu diesem Projekt geführt wurden, haben sich einige wesentliche Grundlinien herausgebildet:

Die Plattform für Menschenrechte versteht sich als Initiatorin und Vermittlerin, jedoch nicht als durchführende Organisation oder Projektträgerin einer konkreten Städtepartnerschaft zwischen zwei Kommunen. Wir möchten mit diesem Projekt einen organisatorischen Rahmen sowie Knowhow und Informationen für die mögliche Durchführung einer oder mehrerer Kommunalpartnerschaften zur Verfügung stellen sowie benötigte Recherchen, Expertisen oder Kontakte organisieren.

Das Projekt zielt auf Partnerschaften ab, die einen gleichberechtigten Austausch- und Kommunikationsprozess auf Augenhöhe ermöglichen. Die Partnerschaften sollen von dem Bewusstsein getragen sein, dass sie einen wechselseitigen Lernprozess bilden, von dem beide Seiten vielleicht nicht in gleicher Weise, jedoch in gleichem Maße profitieren werden. Die Partnerschaften sollen vor dem normativen Hintergrund eines aktiven Engagements zum Schutz der Menschenrechte – vor allem der verletzlichsten Bevölkerungsgruppen auf beiden Seiten – stattfinden.

Es geht dabei nicht um eine Partnerschaft, die eine karitative Unterstützung der konkreten Gruppen von Notreisenden, die nach Salzburg kommen, durchführt – mit dem Ziel, diese Notreisenden für die Zukunft von der Pendelmigration nach Salzburg abzuhalten. Des Weiteren kann es nicht um Projekte und Maßnahmen im Rahmen dieser Partnerschaft gehen, die nur einer best. ethnischen Gruppe/Minderheit in der betreffenden Kommune/in den Kommunen (zum Beispiel ausschließlich den Roma und Sinti) zugute kommt. Von einer solchen Ethnisierung von Partnerschaftsprojekten sollte die Städtepartnerschaft Abstand nehmen.

In der Anfangsphase möchten wir als Plattform folgende Prozesse durchführen bzw. initiieren:

  1. Moderierte Vernetzung mit interessierten AkteurInnen in Salzburg;

  2. Recherchen über bereits bestehende Kontakte, Kooperationen und Partnerschaften auf zivilgesellschaftlicher Ebene in Salzburg;

  3. Recherche von bestehenden Partnerschaftsmodellen in anderen Kommunen im deutschsprachigen Raum;

  4. Ausfindigmachen geeigneter Partnerkommunen in Südosteuropa und Abklärung von Motivation und Rahmenbedingungen;

  5. Initiieren von Kontakten und Gesprächen mit dem Ziel einer oder mehrerer kommunaler Partnerschaften.

Ein Literaturhinweis: Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik zu „Regionaler Kooperation in Südosteuropa“: http://www.swp-berlin.org/de/publikationen/swp-studien-de/swp-studien-detail/article/suedosteuropa_regionale_kooperation.html

3 Fallbeispiele aus der Studie, S. 20/21.

4 Die Zahlen sind einem „Profil des Landkreises Brasov/Kronstadt“ entnommen, das 2012 von der Agentur für Regionalentwicklung Centru herausgegeben wurde (In der Mitte Rumäniens bilden 6 Kreise – Alba, Brasov, Covasna, Harghita, Mures und Sibiu – die Region Centru): http://www.adrcentru.ro/Document_Files/BRDB%20-%20Profile%20Judete%20Regiunea%20Centru/00001457/fd22n_Profil%20Kreis%20Brasov%2031.08.2012-de.pdf

5 www.theater-ecce.com.

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