Bettelverbote gefährden die Grundrechte.
Das Salzburger Landessicherheitsgesetz1 spricht im § 29 ein absolutes Bettelverbot aus: „(1) Wer an einem öffentlichen Ort oder von Haus zu Haus von fremden Personen unter Berufung auf wirkliche oder angebliche Bedürftigkeit zu eigennützigen Zwecken Geld oder geldwerte Sachen für sich oder andere erbittet, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 500 € und für den Fall der Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu einer Woche zu bestrafen. (2) Bei Vorliegen von Erschwerungsgründen kann auch der Verfall des Erbettelten oder daraus Erlösten ausgesprochen werden.“
Das Salzburger Bettelverbot ist – wie die bestehenden Bettelverbote in anderen Bundesländern2 – beim Verfassungsgerichtshof (Vfgh.) beeinsprucht worden, und der Vfgh. befasst sich in dieser Frühjahrssession mit den grundrechtlichen Fragen und Problemstellungen, die diese unterschiedlich formulierten Verbote aufwerfen.
Verstoß gegen Grundrechte:
Abgesehen von diversen ethischen Fragestellungen muss zunächst im Voraus festgestellt werden, dass ein Bettelverbot kein angemessenes Instrument der Armutsbekämpfung sein kann, im Gegenteil: Armut wird kriminalisiert und eine Gruppe von extrem armutsbetroffenen Menschen zu VerwaltungsstraftäterInnen gemacht. Von prinzipieller Bedeutung für die Diskussion der grundrechtlichen Legitimität bzw. Illegitimität von Bettelverboten sind deshalb die sozialen Grundrechte wie sie etwa in Artikel 23 und 25 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ (1948) festgelegt sind. Der Schutz vor Arbeitslosigkeit sowie das Recht auf angemessenen Lebensstandard in Art. 23 und 25 betreffen die Ursachen des Bettelns. Diese sind in den jeweiligen Lebensumständen der Betroffenen zu suchen, nicht in sog. „kriminellen Machenschaften“. Die in Art. 23 und 25 der AEMR formulierten Prinzipien verdeutlichen, dass erst die massive Verletzung von sozialen Grundrechten die Ursachen und Voraussetzungen schafft, die Menschen zum Betteln bzw. zu Bettelmigration zwingen.
Der schwerwiegendste grundrechtliche Problembereich der Bettelverbote betrifft den Art. 8 der EMRK, also das in Österreich auch durch die Verfassung geschützte Recht auf eine freie Gestaltung der Lebensführung.Der Schutzumfang von Art 8 EMRK umfasst – neben unzulässigen Eingriffen des Staates in das Privatleben – auch das Auftreten und die Darstellung in der Öffentlichkeit. Im Zusammenhang mit dem Thema Bettelverbote ist dieses Grundrecht auf Privatleben von prinzipieller Relevanz: Denn es beinhaltet die – wenn auch durch eine soziale Notlage erzwungene – Entscheidung, auf der Straße um Geld zu betteln. Eine Schranke erfährt dieses Recht auf freie Gestaltung der Lebensführung in der Achtung desselben Rechtes anderer, sowie der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Für diese Einschränkungen müssen aber dieselben Kriterien gelten wie für alle anderen Einschränkungen von Menschenrechten auch: eine legitime Zielsetzung und Verhältnismäßigkeit.
Der Art 10 EMRK schützt darüber hinaus noch die Kommunikationsfreiheit im Sinne einer Meinungsäußerungsfreiheit. Bettelnde kommunizieren mit der Umwelt über ihre Armut und machen auf ihre – zumeist ausweglose – Situation aufmerksam. In der Regel ist dies für die Betroffenen die einzige Form, ihre Situation zu veröffentlichen und bekannt zu machen.
Auf einer anderen Ebene lässt sich noch geltend machen, dass Bettelverbote auch die Freiheit der Erwerbstätigkeit einschränken, die in Art. 6 Abs. 1 Staatsgrundgesetz (StGG) gewährleistet ist.
In der Stadt Salzburg betteln im Übrigen nicht nur MigrantInnen aus osteuropäischen Ländern, sondern auch InländerInnen, die teilweise von Haus zu Haus gehen, und vielfach sehen sich auch AsylwerberInnen, die mit der Grundversorgung nicht das Auslangen finden, zum Betteln gezwungen.Eine Verletzung sozialer Grundrechte (evtl. in anderen Staaten der EU) bzw. ein Versagen von lokaler Sozialpolitik kann nicht mit dem Verbot des Bettelns kaschiert werden oder mit dem Argument gerechtfertigt werden, die Betroffenen vor dieser durch Not motivierten Tätigkeit bzw. vor Ausbeutung im Rahmen des Bettelns bewahren zu müssen. Im Bezug auf die Bettelmigration haben m.E. auch österreichische Regierungsorganisationen die Verpflichtung, auf weiter reichende Maßnahmen im Rahmen der EU zu drängen, die die Lebenssituation von BettelmigrantInnen in diversen osteuropäischen Ländern grundlegend verbessern3.
Der Runde Tisch Menschenrechte in der Stadt Salzburg hat deshalb eine Position zu dem in Salzburg geltenden absoluten Bettelverbot zu erarbeitet und diese Position auch in der ersten Pressekonferenz des Runden Tisches am 22. März 2012 veröffentlicht (siehe: http://rundertisch-menschenrechte.at)
Weiterführung einer politische Debatte:
Mit seiner Positionierung hat der Runde Tisch in eine bereits seit längerem laufende politische Debatte um das Salzburger Bettelverbot eingegriffen und ihr eine neue Dimension hinzugefügt: das Bettelverbot als Verstoß gegen wesentliche Grundrechte. Bürgermeister-Stv. Dipl.Ing. Harald Preuner hat unmittelbar nach der Pressekonferenz, auf der die Position des Runden Tisches veröffentlicht wurde, mit einer „Presseinformation“ reagiert. Preuner hatte sich bereits vorher immer wieder mit drastischen Aussagen über sog. „Bettlerbanden“ für die Beibehaltung des absoluten Bettelverbotes in Salzburg ausgesprochen. Diese Position wird in der „Presseinformation“ vom 22.3. bekräftigt – verbunden mit heftigen Angriffen gegen den Runden Tisch, dem er „krasse Themenverfehlungen“ vorwirft. Ausgangspunkt dieser Argumentation ist die pauschale Behauptung: „Betteln begünstigt mafiöse Strukturen!“ Auf die Argumente des Runden Tisches, dass organisiertes Betteln nicht mit „mafiös“ gleichzusetzen ist und dass es für kriminelle Randbereiche des Bettelns ausreichende strafrechtliche Bestimmungen gibt, wurde nicht eingegangen. Die grundrechtliche Dimension des Bettelverbotes wurde in der Aussendung vollkommen negiert und die Kritik am Gesetz als „naiv“ und „völlig losgelöst von den Realitäten“ diffamiert.
Auf Antrag der FPÖ hat der Gemeinderat in seiner Sitzung am 28. März 2012 eine „aktuelle Stunde“ zum Bettelverbot angesetzt. Im Zuge dieser Debatte wurden von FPÖ und ÖVP nochmals die bereits bekannten Standpunkte wiederholt – verbunden mit dem stereotypen Vorurteil, das organisiertes Betteln mit Bandenbildung und mafiösen Strukturen gleich setzt. Der freiheitliche Klubobmann Andreas Schöppl:„Versuchen Sie einmal, so einen Bettler in der Stadt anzusprechen, und Sie werden feststellen, dass keiner von ihnen Deutsch spricht. Dass diese Menschen hier sind, ist das Werk von verantwortungslosen Geschäftemachern.“ Die SPÖ hat sich in der Gemeinderatssitzung für die Abschaffung des absoluten Bettelverbotes ausgesprochen. Martin Panosch befürwortete aber ein „teilweises Bettelverbot nach Wiener Vorbild, wo aggressivem Betteln und organisierten Banden der Nährboden entzogen wird.“ Die Bürgerliste hält – wie der Runde Tisch – das Bettelverbot für grundrechtswidrig und befürwortet eine Abschaffung. Inge Haller: „Eine Bettelmafia gibt es nicht. Das ist ein unbewiesener Mythos.“
Als bemerkenswert und positiv am Verlauf der politischen Debatte zum Bettelverbot, die in der Folge der Positionierung des Runden Tisches geführt wurde sehe ich an:
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dass bereits im Vorfeld der Entscheidung des Vfgh. über die grundrechtliche Problematik des Bettelverbotes öffentlich diskutiert wurde und die Medien diese grundrechtlichen Fragestellungen breit aufgegriffen haben;
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dass in der Folge die grundrechtlichen wie sachlichen Argumente des Runden Tisches nicht mehr ignoriert werden konnten und sich die Parteien (wenn auch bei ÖVP und FPÖ in abgrenzender Form) in der Gemeinderatsdebatte mehrfach darauf bezogen haben;
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dass der Vorsitzende des Runden Tisches im Gemeinderat als Experte herangezogen und zum Abschluss der Debatte gehört wurde; diese Form der ExpertInnenstellung von Mitgliedern des Runden Tisches im Gemeinderat kann fortgesetzt und ausgebaut werden.
Ein wesentliches Argument für die Beibehaltung des Bettelverbotes ist die Behauptung, eigentliche Nutznießer des Bettelns seien mafiös strukturierte Banden, und das Verbot schütze auch die Bettelnden vor krimineller Ausbeutung. Wissenschaftliche Studien aus Graz wecken erhebliche Zweifel an dieser Behauptung, die sich in Salzburg auf keine erhobenen Daten stützen kann. Sinnvoll wäre deshalb aus meiner Sicht, an der Universität Salzburg eine wissenschaftliche Studie zur Bettelmigration in Salzburg nach dem Grazer Vorbild durchzuführen, damit wir endlich über gesicherte Daten zu Herkunft, sozialer Situation und Organisationsformen der bettelnden Menschen erhalten. Der Runde Tisch kann darüber hinaus mit vorsichtigem Optimismus der höchstgerichtlichen Entscheidung entgegensehen und in der Zwischenzeit die politische wie öffentliche Aufklärungsarbeit auf menschenrechtlicher Basis weiterführen.
erschienen in „Kranich“. Zeitung des Salzburger Friedensbüros, Sommer 2012, S. 6/7.)
2 http://www.salzburger-armutskonferenz.at/wp-content/uploads/2011/02/Bettelverbote-%C3%96sterreich-TabVergleich.pdf.
3 Informationen zur Roma-Arbeit des Europarates: http://dosta.org/node/51<.