„Der Kranke ist der Hellsichtige“

krankheit_band2„Der Kranke ist der Hellsichtige“.Überlegungen zur Verhältnisbestimmung von Literatur und Krankheit in den ‚autobiographischen‘ Texten Thomas Bernhards

Die Erfahrung von Krankheit (der eigenen wie jener von Menschen aus seinem Umfeld) hat in Leben und Literatur des Thomas Bernhard eine prägende Rolle gespielt. Ich werde diese These im Folgenden in Form einer Untersuchung des Verhältnisses von Literatur und Krankheit in den „autobiographischen“ Texten einer Prüfung unterziehen. Weiterlesen „„Der Kranke ist der Hellsichtige““

„In ihre fürchterlichen Geschichtsabgründe hinunter zu schauen“.

Hist.RomanThomas Bernhards Auslöschung als Auslöschen der Geschichte

„Die Geschichte interessierte mich“. Indem Franz-Josef Murau, der Protagonist von Thomas Bernhards Roman Auslöschung, diese Äußerung seines Onkels Georg zitiert, benennt er gleichzeitig sein eigenes Interesse, das ihn zur Niederschrift seines „Berichtes“ geführt hat.1 Dieses Interesse, das Murau mit seinem Onkel teilt, steht jedoch im Gegensatz zum Interesse aller anderen Mitglieder seiner Familie an einer Geschichte, die er im zweiten Anlauf präzisierend als „unsere“ Geschichte apostrophiert: „Die Geschichte interessierte mich, aber nicht so wie sie sich für unsere Geschichte interessierten, sozusagen nur für die als zu Hunderten und zu Tausenden aufeinandergelegten Ruhmesblätter, sondern als Ganzes.“ Um diese Ganzheit der nun als gemeinsame, mit der Familie geteilte (an)erkannten Geschichte zu erfassen, bedarf es einer bislang in dieser Form nicht vollzogenen Wahrnehmung, eines Hinein- und Hinunterschauens: „Was sie niemals gewagt hatten, in ihre fürchterlichen Geschichtsabgründe hinein und hinunter zu schauen, hatte ich gewagt.“2 Weiterlesen „„In ihre fürchterlichen Geschichtsabgründe hinunter zu schauen“.“

„Kerker gegen den Geist“.

cover totale institutionenEin schwarz-braunes Syndrom in Thomas Bernhards autobiographischen Texten

Der Schriftsteller Viktor Suchy führte in der „Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur“ am 7. März 1967 – also acht Jahre vor dem Erscheinen der „Ursache“ – ein Interview mit Thomas Bernhard, in dem er den damals 36jährigen fragte, ob er jemals daran gedacht habe, autobiographische Aufzeichnungen zu machen und diese später zu publizieren. Bernhards Antwort erfolgte in dem für ihn typischen Stil der Untertreibung:

„Ich mach‘ natürlich Notizen, mehr oder weniger jeden Tag, oder nicht, je nachdem, was einem einfällt. Vor allem für einen selber, man will ja nachschauen, was war damals, und man vergißt ja Perioden, da sind dann Monate weißer Flecken, so wie der Nordpol. Die Vergangenheit ist unerforscht, dort.“1

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Verborgene Fundamente. Ein Spaziergang durch die Stadt.

Was macht die Fundamente einer Stadt aus? Was sind die Grundlagen, aus denen heraus sie sich als Gemeinwesen von freien und gleich berechtigten Menschen entwickeln kann, statt eine „Todeskrankheit“ (Thomas Bernhard), eine Agglomeration von Ohnmächtigen und Machthabenden, von Armutsbedrohten und Besitzenden, von Namenlosen und Namhaften zu sein? Was gibt den acht Buchstaben SALZBURG eine Bedeutung, die es wert ist, sie im Gedächtnis zu behalten? Sind es die Grundmauern des alten Domes, die Altstadthäuser, die Festung oder der „Jedermann“, die großen Einkaufstempel an der Peripherie? Wohl kaum. Wenn es jedoch nicht das an der Oberfläche Liegende, nicht das von allen Beachtete und Gesehene ist, was ist es dann? Weiterlesen „Verborgene Fundamente. Ein Spaziergang durch die Stadt.“

„Die Zeit macht aus ihren Zeugen immer Vergessende“. Katholizismus und Nationalsozialismus im Werk von Thomas Bernhard.

Die Geschichte interessierte mich, aber nicht so, wie sie sich für unsere Geschichte interessierten, sozusagen nur für die als zu Hunderten und zu Tausenden aufeinandergelegten Ruhmesblätter, sondern als Ganzes. Was sie niemals gewagt hatten, in ihre fürchterlichen Geschichtsabgründe hinein und hinunter zu schauen, hatte ich gewagt.“ 1

Auf den ersten Blick scheint es der Unverschämtheit einer typisch Bernhard’schen Provokation nahe zu kommen, den österreichischen Schriftsteller der ‚literarischen Publizistik des deutschsprachigen Katholizismus’ zuordnen zu wollen. Gerade ihn, der sich jeder Zuordnung vehement entzogen hatte, unter dieses Milieu zu rubrizieren, mag zum Widerspruch reizen, hätte vermutlich auch ihn selber zum Widerspruch gereizt. Auf die Frage: War Thomas Bernhard ein katholischer Schriftsteller? – sind zwei sich ausschließende Antworten möglich; die eine: ‚Er war alles andere als das! Sein ganzes Werk seit dem ersten Roman, Frost, entwickelt einen literarischen Diskurs, der frontal gegen den Katholizismus, seine pädagogischen, kulturellen und religiösen Implikationen gerichtet ist.’ – Die andere: ‚Bernhard war ganz selbstverständlich katholisch geprägt.’

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