Das Wort „Asyl“: Theologie – Geschichte – Grundrecht

Multikulti„Der Pass ist der edelste Teil von einem
Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache
Weise zustand wie ein Mensch. Ein
Mensch kann überall zustand kommen, auf
die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten
Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird
er auch anerkannt, wenn er gut ist, während
ein Mensch noch so gut sein kann und doch
nicht anerkannt wird.“

Ich beginne mit einer Passage aus den „Flüchtlingsgesprächen“, die der deutsche Schriftsteller Bertolt Brecht im Herbst 1940 in Finnland – also auf einer der zahlreichen Stationen seiner Flucht vor den Nationalsozialisten – verfasste, bevor er über die Sowjetunion in die USA einreisen konnte. Denn diese Textpassage gibt mit großer Genauigkeit wieder, wie Flüchtlinge und Asylsuchende das Handeln und die Einstellungen staatlicher Behörden ihnen gegenüber empfinden: „Ich als Mensch bin NICHTS. Der Pass, der verbürgte Nachweis einer Staatsbürgerschaft, ist ALLES. Meine persönliche (Not)Situation bedeutet nichts. Nur der abstrakte Nachweis einer Verfolgungssituation zählt.“

Gerade vor dem Hintergrund dieses auf konkreten Erfahrungen beruhenden Empfindens scheint es mir wesentlich, den Begriff des Asyls nicht auf seine aktuelle rechtliche Basis zu reduzieren, sondern zumindest in Umrissen seine religiösen und sozialen Zusammenhänge, seine kulturellen und ethnologischen Facetten zu beleuchten. Denn das Asyl als Institut der garantierten Schutzgewährung ist in den Facetten seiner Semantiken und seiner Anwendung wesentlich ausdifferenzierter als das jeweilige im Fremden- und Asylrecht der europäischen Staaten festgelegte Verständnis. Das Wort leitet sich vom griechischen „asylon“ ab, das als Adjektiv mit „unberaubt“, „unverletzt“ und als Substantiv mit „Zuflucht“, „Heiligtum“ übersetzt werden kann. In einem engeren religionsgeschichtlichen und ethnologischen Sinn bedeutet Asyl „Orte, Zeiten und/oder Personen, die über die Eigenschaft/Fähigkeit verfügen, Schutzsuchenden – Flüchtlingen, Fremden, Marginalisierten, Personen in existentieller Bedrängnis – Sicherheit vor Verfolgung und Repression zu gewähren.“ (Bertram Turner: Asyl und Konflikt von der Antike bis heute. Rechtsethnologische Untersuchungen. Reimer Vlg. O.O. 2005, 21). Der Anlass für diese Verfolgung oder Repression tritt dabei zunächst in den Hintergrund.

Ein Institut der Schutzgewährung in ritualisierter Form auszuformulieren und zu praktizieren, galt und gilt weithin als Zeichen ausgeprägten ethischen Bewusstseins und zivilisatorischer Reife in einer Gesellschaft. Zahlreiche Motive und Textpassagen in der antiken Literatur markieren das Institut des Asyls als Unterscheidungsmerkmal zwischen Zivilisation und Barbarei. Ein klassischer Belegtext dafür ist eine Passage in der „Odyssee“ des Homer, wo Odysseus dem Sauhirten Eumaios von einem Abenteuer in Ägypten erzählt (Odyss. 14, 260-286). Die erzählte Episode ist nicht zufällig in Ägypten angesiedelt, galt das damalige ägyptische Reich doch als die kultivierte Zivilisation schlechthin! Odysseus erzählt von einem Beutezug, an dem er teilnahm und der einen katastrophalen Ausgang nahm: Das Heer des Pharao besiegte die Eindringlinge und tötete oder versklavte die Griechen – bis auf einen: Odysseus. Der warf seine Waffen weg, lief zum Wagen des Königs, umfasste und küsste seine Knie; dieser gewährte ihm – „aus Furcht vor der Rache“ der Gottheit – Schutz vor seinen eigenen Kriegern. Sieben Jahre dauerte – laut seiner Erzählung – das Asyl des Odysseus bei den Ägyptern und er „sammelte Güter sich im ägyptischen Volk genug“. D.h. er verbrachte diese Zeit nicht in einem völlig rechtlosen und besitzlosen Zustand!

Dieser Topos einer Identifizierung von Asyl und Zivilisation sollte allerdings nicht dazu verleiten, das Asyl als ausschließliche „Errungenschaft“ sog. fortgeschrittener Gesellschaften oder „Kulturvölker“ anzusehen. Bertram Turner hat in seiner breit angelegten ethnologischen Untersuchung eine „Ethnografie des Asylrechts“ bei den Zivilisationen Australiens, Neuseelands und Ozeaniens sowie im subsaharischen und nördlichen Afrika entworfen, die eine enorme Vielfalt von Ausprägungen des Asylinstitutes bei sog. „Naturvölkern“ zeigt.

Asyl in der europäischen Kulturtradition:

In der europäischen Kulturtradition gibt es zwei klassische Bezugspunkte für die Tradition des Asyls: das Erste Testament, also die biblischen Schriften des Judentums, die ebenso Eingang in die Heiligen Schriften des Christentums gefunden haben, sowie die griechische Antike. Allen Regelungen, die sich im Ersten Testament (neben Erzählungen von konkreter Schutzgewährung) zum Asyl im engeren Sinne finden, sind zwei Konstanten gemeinsam: ein definierter Schutzort und eine klar umrissene Personengruppe, für die der Schutz gilt. Die älteste Asylregelung des Ersten Testaments findet sich in Ex. 21, 12-14 im Rahmen der Gesetze zu Gewalt- und Tötungsdelikten und wird in die nomadische Periode des Volkes Israel zurückdatiert. Der Text formuliert die Reziprozitätsregel, das sog. „Talion“: „Wer einen Menschen schlägt, dass er stirbt, der soll des Todes sterben.“ Vers 13 schränkt diese Regel ein und etabliert einen Schutzort für diejenigen, die nicht vorsätzlichen Totschlag begangen haben. Dieses Asylinstitut wird in vielen weiteren Texten des Ersten Testamentes (Deuteronomium, Josua und Numeri) weiterentwickelt – etwa im Ausweiten der Schutzorte von Kulträumen auf definierte „Asylstädte“ (in Dtn. 4,41 benennt Mose drei Asylstädte: Legitimation durch Ätiologie) oder im Benennen einer für die Durchführung des Asylrituals verantwortlichen Kaste religiöser Funktionäre: der Leviten. Neben diesem klassischen Asylinstitut findet sich im Ersten Testament aber auch ein ausgeprägtes Gastrecht für sog. „Fremde“: Der in Israel ansässige Fremde besaß eine bes. Stellung, die begründet war mit der Geschichte des Volkes Israel: Denn die Patriarchen waren in Kanaan ansässige Fremde (Gen. 23,4), die Israeliten in Ägypten Fremde gewesen (Gen. 15, 13; Ex. 2,22). Im Lande Israel waren deshalb die Fremden in hohem Maße in die Gesellschaft integriert (den Gesetzen unterworfen, zum Sabbat verpflichtet, opferfähig und zur Paschafeier berechtigt). Als wirtschaftlich Schwache standen sie unter dem bes. Schutz des Gesetzes (Lev. 23,22. 25, 35: „Wenn dein Bruder verarmt und er sich neben dir nicht halten kann, so sollst du ihm helfen, als wäre er Fremdling oder Beisasse, dass er neben dir leben kann.“). Unabhängig vom ortsgebundenen Asyl an der Kultstätte oder in der Asylstadt wird in Deut. 23, 16-17 ein Verbot festgesetzt, das universal (d.h. für ganz Israel) gilt und die Auslieferung flüchtender (ausländischer) Sklaven verbietet.

Die Quellen der griechischen Antike bieten – im Gegensatz zum altorientalischen Schrifttum – ebenfalls eine Fülle von Belegen über Asylinstitutionen und unterschiedlichste Schutzformen. Praktisch das Schrifttum der gesamten Antike – von Homer bis zur frühchristlichen Spätantike – belegt eine reiche Vielfalt von Asylformen. Klassisch wird diese Vielfalt in drei typologische Ausprägungen zusammengefasst: Asylie, Hikesie und andere Ausprägungen wie Proxenie oder Metökie. Da die griechische Gesellschaft in eine Vielzahl von autonomen Stadtstaaten zergliedert war, regelte die Asylie den zwischenstaatlichen Schutz von Land und BürgerInnen. Asylie bedeutete die vertragliche Aufhebung des „Sylerechtes“ (=Verletzung-, Vergeltungssrechtes), der Selbstjustiz gegenüber den Angehörigen einer fremden Polis, eines anderen Stadtstaates. Vorbild war das Verbot der „syle“ gegenüber allen Manifestationen des Sakralen, sie entwickelte sich aber als quasi säkulares staatsrechtliches Instrument, das verliehen und durch Verträge abgesichert wurde. Die Asylie wurde an Individuen, Verbände oder ganze Staaten verliehen und war temporär oder permanent wirksam, beruhte auch häufig auf Gegenseitigkeit.

Die Hikesie war demgegenüber eine konkrete Schutzform, die grundsätzlich allen Schutzsuchenden zustand und mit einer göttlichen Garantie ausgestattet war. Sie war eine Eigenschaft des Numinosen, die prinzipiell mit jedem heiligen Ort verbunden sein konnte – z.B. mit dem heiligen Herd in jedem Haus. Einzige Voraussetzung für die Schutzwürdigkeit ist der Kontakt mit dem Heiligen, der rituell, nicht gesetzlich geregelt und Bestandteil der kollektiven Wertvorstellungen war. Eine rituelle Ausprägung der Hikesie war die „Supplication“, d.h. das Umfassen der Knie eines Schutzgewährenden durch den Schutzsuchenden (vgl. die erwähnte Erzählung in der Odyssee).

Christliches Asylrecht:

Das christliche Asylrecht bildet sowohl Fortsetzung als auch Weiterentwicklung der antiken Formen. Als die heidnischen Kultstätten ihre Asylfunktion einbüßten, wurde sie mit allen ritualisierten Formen auf die christlichen Gotteshäuser übertragen, gleichzeitig wurden aber neue sakrale Schutzgarantien institutionalisiert. Der Heiligenkult war der neue Ort ausdifferenzierter Schutzfunktionen, und die Weihe einer konkreten Kirche an eine/ Heilige/n übertrug dessen / deren Schutzfunktion auf den Raum der Kirche. Rechtlich konkretisierte sich diese Schutzfunktion in der „intercessio“, im Interventions- und Mediationsrecht der Bischöfe, das gleichzeitig als eine Interventionspflicht betrachtet wurde! Das Kirchenasyl hatte aber auch seine eng gefassten Grenzen: Es betraf in der Praxis zum größten Teil verfolgte Schuldner und sorgte für einen lebbaren Schuldenausgleich. Kaum geschützt durch das Kirchenasyl waren die christlichen Sklaven von christlichen Eigentümern, da hier das Eigentumsrecht des Christen in der Regel als das höhere Gut betrachtet wurde. Außerdem galt das Kirchenasyl nur für Christen und nicht für Juden. Dennoch kommt dem Kirchenasyl in der europäischen Geschichte eine unvergleichbare Modellfunktion für die Entwicklung eines universalen Schutzinstitutes in Form des Asylrechts zu. Die punktuelle Wiederbelebung des Kirchenasyles als symbolischer Widerstandshandlung gegen als unrechtmäßig empfundene Abschiebungen von im Sinne des jeweils geltenden Fremdenrechtes nicht Asylberechtigten zeigt, dass die ideelle Universalität des Asylrechtes in Europa einer fortschreitenden Eingrenzung im faktischen rechtlichen Vollzug entgegensteht.

Wesentlich an der Wahrnehmung dieser reichen Ausfaltung von Traditionen des Asylrechtes und der Schutzinstitute ist, dass es neben der staatlich zentralisierten Rechtsform immer schon und immer wieder zivile, allgemein gesellschaftliche Formen institutionalisierten Schutzes für als schutzbedürftig erkannte Personen gab und gibt. Diese Traditionslinie zieht sich auch durch das 20. und 21. Jahrhundert. Sie ist immer wieder in Gefahr, aus der Perspektive eines nur verrechtlichten Asyldenkens illegalisiert zu werden. Ein aktuelles Beispiel ist die Europa weite Aktion „save me – Flüchtlinge aufnehmen!“, die von einem breiten Bündnis zwischen UNHCR, Pro Asyl, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen getragen wird. Die Aktion fordert – ausgehend von der Wahrnehmung, dass das geltende Asylrecht in den europäischen Staaten (auf der Grundlage der GFK) der faktischen Realität der internationalen Fluchtbewegungen und der konkreten Notsituation von Flüchtlingen nicht mehr gerecht werden kann -, dass europäische Wohlfahrtsstaaten jedes Jahr ein festgesetztes Kontingent an Flüchtlingen aus sog. Erstzufluchtsstaaten aufnehmen und integrieren („resettlement“).

Das Grundrecht auf Asyl seit 1948:

Mein Hintergrund ist die regionale Menschenrechtsarbeit und somit die Auseinandersetzung mit dem Phänomen eines eingeschränkten Zuganges von Asylsuchenden in Österreich (wie in vielen europäischen Staaten) zu fundamentalen Grundrechten wie eben das subjektive Recht auf Asyl, das Recht auf soziale Sicherheit, auf Familienleben sowie das Recht auf existenzsichernde Arbeit. Ich beziehe mich hier also nur auf die Grundrechte als Basis und normativen Anspruch, nicht auf die faktische Situation des aktuellen österr. Asylrechts!

Der Begriff „Asyl“ auf der Basis der modernen Grundrechtsformulierungen bedeutet jenen Schutz, den ein Staat einem Angehörigen eines anderen Staates gewährt, und das Asylrecht bezeichnet in erster Linie ein staatliches Recht auf Schutzgewährung gegenüber anderen Staaten. Das Recht auf Asyl beinhaltet folgende konstitutiven Elemente: das Recht auf Einreisenlassen, das Recht auf dauernden Aufenthalt und den Schutz vor jeder zwangsweisen Entfernung aus dem Aufnahmeland.

Davon zu unterscheiden ist der subjektive Anspruch der einzelnen Asylsuchenden gegenüber einem Aufnahmestaat auf Schutz vor Verfolgung. Dieser Anspruch ist bisher völkerrechtlich nicht verankert. Nachdem bei der UNO-Konferenz über eine „Convention on Terrotorial Asylum“ 1977 die Aufnahme einer solchen Verpflichtung in die internationale Rechtsordnung am Widerstand der Staaten gescheitert war, bleibt diese Grundrechtslücke bis heute bestehen. Einzelne Bestandteile dieses Rechtes sind aber durch Bestimmungen der internationalen Rechtsordnung gewährleistet: insbes. durch das in Art. 3 EMRK und Art. 33 GFK normierte Prinzip des „non refoulement“. Diese Rückschiebeverbote verpflichten den Aufnahmestaat zwar nicht zur Asylgewährung, verbriefen aber auf völkerrechtlicher Basis ein Recht des Asylsuchenden, dem Zugriff des Verfolgerstaates entzogen zu bleiben.

Drei Grundrechtsdokumente sind wesentlich als normative Basis für das moderne Asylrecht:

  1. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, am 10.12.1948 durch die Generalversammlung der UN. deklariert, hält im Art. 14 das Recht jedes Menschen fest, „in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen“. Dabei handelt es sich um eine rechtlich unverbindliche Resolution, aus der keine individuellen, im staatlichen Recht durchsetzbaren Rechte abgeleitet werden können. Sie genießt jedoch durch die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten hohe Autorität und kann als normative Richtschnur durch zivilgesellschaftlichen Druck eingeklagt werden.
  2. Die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten wurde am 4.11.1950 im Rahmen des Europarates ratifiziert und trat 1953 in Kraft. Die EMRK nimmt keinen direkten Bezug zum Recht auf Asyl, und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat immer wieder darauf verwiesen, dass die Konvention kein Recht auf Aufenthalt oder Asyl beinhaltet. Dennoch sind einzelne Bestimmungen der EMRK – gerade die Art. 3 (Schutz vor Folter und unwürdiger Behandlung, der ein refoulement-Verbot begründet), 8 und 13 (Recht auf …) – für die normative Begrenzung einer staatlichen Vollzugspraxis von Bedeutung.
  3. Wichtigste normative Grundlage des Rechtes auf Asyl ist die Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, die am 28.7. 1951 unterzeichnet wurde und 1954 in Kraft trat. 1967 wurde ein ergänzendes Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge unterzeichnet. Die GFK regelt nicht die Gewährung von Asyl, sondern nur die Behandlung der anerkannten Flüchtlinge. Sie sichert allerdings ein völkerrechtlich garantiertes Rückschiebeverbot

Grundlegend für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist der im Art. 1 A, Abs. 2 der GFK definierte Begriff des Flüchtlings. Flüchtling im Sinne der GFK ist jede Person, „die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will …“ Zentrales Element der Definition ist die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ Entscheidend für die Zuerkennung des Flüchtlingstatus ist der Nachweis des „Wohlbegründetseins“ – also das Vorliegen objektiver Tatsachen, die eine drohende Verfolgung als wahrscheinlich beurteilen lassen. Nicht erforderlich sind tatsächlich erlittene Verfolgungshandlungen, es genügt eine drohende Verfolgung im Falle einer Rückkehr in den Heimatstaat. Der Verfolgungsbegriff ist in der GFK nicht definiert, es werden lediglich die relevanten Verfolgungsgründe aufgezählt. Sein Kern ist die Bedrohung von Leben, Gesundheit und Freiheit der Person, und es können auch andere Menschenrechtsverletzungen als die aufgezählten als „Verfolgung“ im Sine der GFK qualifiziert werden, wenn sie eine gew. Intensität erreichen – etwa Verletzungen des Rechtes auf Privat- und Familienleben oder wirtschaftlich-soziale Bedrohung. Wichtig im Kontext der sog. „neuen Kriege“, also der nach dem Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung entstandenen neuen Konflikt- und Gewaltstrukturen, dass die Verfolgung im Sinne der GFK nicht unbedingt von staatlichen oder quasistaatlichen Organen ausgehen muss. Diese erweiterte Interpretation von Art. 1 A, Abs. 2 der GFK geht von der Schutzbedürftigkeit der betroffenen Person aus, die ebenso eintreten kann, wenn ihr Staat unwillig oder unfähig ist, ihr ausreichenden Schutz vor Verfolgung zu bieten. Weiters ist noch von Bedeutung, dass nicht nur gezielte Verfolgung des Einzelnen zur Schutzbedürftigkeit führt, sondern ebenso das Teilen von (zugeschriebenen) Eigenschaften einer Gruppe, der Verfolgung im Herkunftsstaat droht.

Die konkreten Erfahrungen von Asylsuchenden zeigen immer wieder die Unzulänglichkeiten des positiven Rechtes in der Europäischen Union auf. Deshalb ist es von wesentlicher Bedeutung für das Verständnis des Wortes „Asyl“, den Begriff nicht auf seine aktuelle rechtlich definierte Bedeutung zu reduzieren. Dieser Text sollte zumindest in Umrissen die religiösen und sozialen Zusammenhänge, die kulturellen und ethnologischen Facetten des Wortes „Asyl“ beleuchten. Denn das Asyl als Institut der garantierten Schutzgewährung ist in den Facetten seiner Semantiken und auch seiner Anwendungen in der zivilgesellschaftlichen Praxis, die sich nicht selten als widerständig gegenüber der staatlichen erweist, wesentlich ausdifferenzierter als das jeweilige im Fremden- und Asylrecht der europäischen Staaten festgelegte Verständnis.

LITERATURVERWEIS:

Bertram Turner: Asyl und Konflikt von der Antike bis heute. Rechtsethnologische Untersuchungen. Reimer Vlg. O.O. 2005.

(Dieser Text ist Teil eines Vortrages, den ich im Rahmen einer Lehrveranstaltung von a.o. Prof.in Helga Embacher am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg gehalten habe.)

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