„Die Zeit macht aus ihren Zeugen immer Vergessende“. Katholizismus und Nationalsozialismus im Werk von Thomas Bernhard.

Die Geschichte interessierte mich, aber nicht so, wie sie sich für unsere Geschichte interessierten, sozusagen nur für die als zu Hunderten und zu Tausenden aufeinandergelegten Ruhmesblätter, sondern als Ganzes. Was sie niemals gewagt hatten, in ihre fürchterlichen Geschichtsabgründe hinein und hinunter zu schauen, hatte ich gewagt.“ 1

Auf den ersten Blick scheint es der Unverschämtheit einer typisch Bernhard’schen Provokation nahe zu kommen, den österreichischen Schriftsteller der ‚literarischen Publizistik des deutschsprachigen Katholizismus’ zuordnen zu wollen. Gerade ihn, der sich jeder Zuordnung vehement entzogen hatte, unter dieses Milieu zu rubrizieren, mag zum Widerspruch reizen, hätte vermutlich auch ihn selber zum Widerspruch gereizt. Auf die Frage: War Thomas Bernhard ein katholischer Schriftsteller? – sind zwei sich ausschließende Antworten möglich; die eine: ‚Er war alles andere als das! Sein ganzes Werk seit dem ersten Roman, Frost, entwickelt einen literarischen Diskurs, der frontal gegen den Katholizismus, seine pädagogischen, kulturellen und religiösen Implikationen gerichtet ist.’ – Die andere: ‚Bernhard war ganz selbstverständlich katholisch geprägt.’

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Was heißt hier Integration?

Zum Spannungsfeld zwischen Begriff und Wirklichkeit

Der Begriff

„Integration“ ist ein Querschnittsbegriff, der von vielen Wissenschaftsbereichen (z.B. Sozial- und Sprachwissenschaften, Betriebswirtschaft, Mathematik und Informatik) in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet wird. In seiner allgemeinen Bedeutung bezeichnet das lateinische Wort die (Wieder-)Herstellung eines Ganzen, einer Einheit durch Einbeziehung außen stehender Elemente. Auf soziologischer Ebene versteht man unter Integration die Verbindung einer unterschiedlichen Vielzahl von Menschen(-gruppen) zu einer gesellschaftlichen Einheit. 1 Der Begriff ist zu einem Wort der Alltagssprache geworden, das in den verschiedensten Kontexten verwendet, vielfältig verstanden und unterschiedlichen, ja widersprüchlichen politisch-ideologischen Zielsetzungen untergeordnet wird. Weiterlesen „Was heißt hier Integration?“

„Hingabe an die fremde Welt“?

Friedrich Heer und der Linkskatholizismus

Der Denker Friedrich Heer ist nicht mit einer einfachen, schlagwortartigen Zuschreibung erfasst. Auf ihn wurde sowohl die Bezeichnung als Linksliberaler wie auch die des Konservativen angewandt; er galt als ‚dilettierender’ Universalhistoriker ebenso wie als engagierter Publizist. Die Etikettierungen sind zahlreich, und es trifft ihn keine von allen wirklich. Zum 20. Todestag F. Heers fand sich auf der Website des ORF unter ‚religiON-NEWS’ eine Würdigung des „Historikers, Publizisten, Kulturphilosophen und Schriftstellers“, die verschiedene Aspekte seines Denkens und seiner Schriften kurz beleuchtet.
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Die Katastrophe begreifbar machen. Eine kleine Soziologie der Engel resp. ihres Erscheinens in der Literatur der Gegenwart.

Damals wusste ich noch nicht, dass es die Engel sind, die uns beschwören. Nicht wir sind es, die sie erträumen, die Engel träumen uns.“

Ilse Aichinger

In der Überlieferungsgeschichte der drei abrahamitischen Religionen findet sich eine unüberschaubare Vielfalt von imaginierten Sozialformen der als „angelos“, „mal’ach“ oder „al-Mala’ika“ bezeichneten Geistwesen. Sie reichen von den elaborierten Fantasiewelten der Engelshierarchien, die einen eigenen religionsgeschichtlichen Strang vom 3. vorchristl. Jahrhundert bis in die Gegenwart bilden, über die in unterschiedlicher Weise mythisch besetzte Vorstellung von „Gottessöhnen“ und „Engeln Jahwes“ im Ersten Testament bis zu den zunächst anonym bleibenden „Fremden“, die den Einbruch einer transzendenten Erfahrung, einer Botschaft von Jahwe, in die geschlossene Plausibilität menschlicher Verhältnisse verkörpern. Weiterlesen „Die Katastrophe begreifbar machen. Eine kleine Soziologie der Engel resp. ihres Erscheinens in der Literatur der Gegenwart.“

Österreich als zweite Heimat?

Ein Gespräch mit Rainer Bauböck

Josef Mautner: Was ist Heimat? Was ist Fremde? Ich glaube, diese Frage stellen sich alle Menschen, die irgendwann im Laufe ihres Lebens eine erste Heimat verlassen mussten. Es ist eine drängende Frage, weil unser Leben einen Ort braucht. Unsere Identität ist nicht nur mit dem Ort, wo wir leben verbunden. Sie ist ebenso verknüpft mit jenen Orten, an denen wir im Verlauf unserer Geschichte schon gelebt haben – vor allem mit den Orten unserer Kindheit. „Ein Kind hat Heimweh, wenn es zum ersten Mal von zuhause weg ist. Ich habe mein ganzes Leben lang Heimweh gefühlt – und das, obwohl ich nicht einmal weiß, nach welchem Daheim ich mich sehne“, sagt Said Ali Magamadov im Gespräch. „Was ist meine Heimat?“ – Glauben Sie, dass Menschen mit Migrationserfahrung diese Frage irgendwann eindeutig für sich beantworten können – und wenn ja: Welche Voraussetzungen brauchen sie, um diese Antwort für sich zu finden?

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Träume aufzeichnen

Der Kobold der Träume
spinnt das Garn der Geschichten.“
Miguel Angel Asturias

Im Frühjahr 1996 begann ich jene Träume, die meiner Erinnerung zugänglich werden, aufzuzeichnen. Ohne bestimmten Zweck und ohne an eine Veröffentlichung dieser Aufzeichnungen zu denken; eher leitete mich die Neugier an jenen abstrusen und teilweise eindrucksvollen Geschichten, die ich mir nachts erzählt hatte und von denen noch diffuse Fragmente nach dem Aufwachen im Gedächtnis geblieben waren.
Langsam entwickelte sich daraus eine geschärfte innere Aufmerksamkeit. Meine Erinnerungen an Träume wurden umfangreicher und genauer.

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„Meine Träume wissen mehr als ich.“

Ein Gespräch mit Bogdan Bogdanovic

Josef Mautner: Die Aufzeichnungen der Träume, die in Ihren Erinnerungen mit dem Titel „Der verdammte Baumeister“ abgedruckt sind, sind nur einige wenige aus einer großen Menge von Traumaufzeichnungen, die in der sog. „grünen Schachtel“ aufbewahrt waren. Sie sagen in ihren Erinnerungen, dass dieses Aufzeichnen einem „seltsamen Bedürfnis“ entspreche – und dennoch haben sie sie aufgezeichnet. Was hat Sie bewegt, in dieser Zeit des Krieges Ihre Träume auf den Kärtchen fest zu halten und sie dann auch nach Wien, ins Exil mitzunehmen?

Bogdan Bogdanovic: Was ich in das Buch aufgenommen habe, ist nur ein Fragment meiner Träume. Es sind nur einige von den Zetteln, die ich in jenem Moment eingesteckt habe, als wir Belgrad verlassen mussten, und nach Wien mitgebracht habe. Auch diese Zettel waren nur ein Bruchteil meiner gesamten Aufzeichnungen.
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Vorlesung „Asyl in Österreich“

 Es erscheint mir wesentlich, den Begriff des Asyls nicht auf seine aktuelle rechtliche Basis zu reduzieren, sondern zumindest in Umrissen seine religiösen und sozialen Zusammenhänge, seine kulturellen und ethnologischen Facetten zu beleuchten. Denn das Asyl als Institut der garantierten Schutzgewährung ist in den Facetten seiner Semantiken und seiner Anwendung wesentlich ausdifferenzierter als das jeweilige im Fremden- und Asylrecht der europäischen Staaten festgelegte Verständnis. Weiterlesen „Vorlesung „Asyl in Österreich““